Alles bestens by Beate Doelling

Alles bestens by Beate Doelling

Autor:Beate Doelling [Dölling, Beate]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 978-3-407-74126-4
Herausgeber: Beltz
veröffentlicht: 2007-09-14T17:00:00+00:00


Der Schattendes Scheinriesen

Die Sonne schien, aber sie erreichte mich nicht. Mein Herz lag im Schatten. Die Rippen drückten; meine Haut war zu eng. Ich kam mir vor, als hätte man mich in einen zu kleinen Pariser gesteckt, wenn ihr wisst, was ich meine.

Ich ging. Oder vielmehr: Ich ließ mich gehen. Im wahrsten Sinne des Wortes! Meine Beine gingen voraus und ich floss hinterher.

Alles fließt, habe ich mal im Philosophieunterricht gehört, also warum ich nicht auch?

Ich floss durch die Straßen, durch die U-Bahn, ich floss aus mir heraus und verdunstete in einem schönen Sommertag. Bye, bye, Leute, das war’s. Ich ward nie mehr gesehen. Ich hatte meinen eigenen Grabstein vor Augen: Johannes Holden Ephraim Springborn – hier endet seine tragische Geschichte.

Wenn es doch nur so einfach wäre im Leben. Sogar wenn man das Leben selbst in die Hand nimmt, ist es nicht leicht zu verduften. Erstens passt so ein verdammtes Leben gar nicht in die eigene Hand und zweitens verduftet man nicht. Man verdunstet auch nicht, obwohl wir zu 80 Prozent aus Wasser bestehen. Wir verstinken, verrotten, verpesten das Grundwasser, von dem andere noch trinken müssen, wir, die Krönung der Schöpfung. Deswegen bleibt man doch lieber so lange wie möglich am Leben, auch wenn einen das manchmal zum Verzweifeln bringen kann. In einer Minute denkt man, man kommt irgendwie durch, in der anderen Minute ist schon wieder alles Neese, wie der Berliner sagt. Ich bin Berliner, aber ich darf so was nicht sagen, ich gehöre zur gebildeten Schicht. Man hat mich gebildet, wie sich Eisblumen an den Fenstern bilden, einfach weil es zu kalt wird. Und deshalb war ich jetzt hier, auf der Straße, und die Autos hupten nicht mal.

Ich floss dahin und fragte mich, wie es wohl mit dem guten Holden weiterging und wo wohl Sandras Buch geblieben war und welcher Arsch gerade darin las.

Ich hatte die Schnauze voll und wollte nach Hause, in mein Bett, zu meinem Computer, mir stapelweise Pastrami-Stullen schmieren, auch wenn man nie genau weiß, was in Pastrami drin ist. Ja, ich wollte meinen Computer hochfahren. Was hätte ich darum gegeben, den Begrüßungssound zu hören, das kleine fröhliche Glucksen, nachdem er angesprungen ist. Meine Fingerspitzen lechzten nach der Tastatur, meine rechte Hand nach der Maus. – Ein paar nette Doppelklicks hier und da und nichts wie ab ins Internet, ein bisschen surfen, chillen, mal gucken, was es Neues auf der Kaninchenseite gab.

Aber ich war ohne Computer, ohne Eltern, ohne Zuhause und, was mich am meisten störte: ohne eigenen Willen. Er musste mir irgendwo abhanden gekommen sein. Große Männer verlieren manchmal Eigenschaften oder ihren Schatten, aber dass man den eigenen Willen verliert, davon hatte ich noch nie gehört. Ich konnte auch nicht mehr grübeln. Mein Ellenbogen tat weh. Ich überlegte, ob ich einen Orthopäden aufsuchen sollte, einen Kollegen von meinem Vater. Die ganze verdammte Stadt war voller Kollegen, aber ich hatte meine Chipkarte nicht dabei. Leute, ich sage euch, geht nie ohne Chipkarte aus dem Haus!

Der Schmerz wurde stärker, ich konnte kaum noch den Arm gerade halten. Ich streckte meine Hand aus.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.